
Von Workaholics und Teilzeit-Vizeeuropameistern
Fast ein Drittel aller Erwerbstätigen in Österreich arbeitet weniger als 40 Stunden in der Woche. Ökonomen warnen vor langfristigen Folgen.
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6,8 Milliarden Stunden haben Herr und Frau Österreicher im Jahr 2024 insgesamt gearbeitet – knapp 169 Millionen Überstunden inklusive. Steirerinnen und Steirer haben dazu knapp 950 Millionen Stunden beigetragen. Das sollte doch für einen Spitzenplatz im europäischen Fleiß-Ranking reichen? Jein. Einerseits lag das jährliche Arbeitsvolumen vor Corona schon deutlich über sieben Milliarden Stunden. Andererseits stieg die Produktivität als eigentliche Leitwährung dank technischem Fortschritt trotz deutlich weniger Stunden im Job. Allerdings ist dieser Produktivitätsindex in den vergangenen beiden Jahren ins Minus gerutscht. Hält diese Entwicklung an und sinkt auch die Arbeitszeit weiter, wird daraus ein für die Wirtschaft gefährlicher Mix. Ein Wohlstandsverlust würde drohen.
Entsprechend besorgt blicken Ökonomen auf einschlägige Statistiken der OECD und EU. Sie weisen bei einem Vergleich der reinen wöchentlichen Arbeitszeit – ohne Berücksichtigung der Urlaubs- und Feiertage und egal, ob selbständig oder unselbständig Erwerbstätige – Griechenland mit 40,9 Stunden als Land der „Workaholics“ aus. Österreich liegt in diesem Ranking mit 35,7 Stunden zwar knapp vor Deutschland (34,6 Stunden), aber deutlich unter dem EU-Schnitt von 37 Stunden.
„Wir müssen Angebote machen, wie wir die effektive Lebensarbeitszeit verlängern.“

Holger Bonin
IHS-Chef
Der Grund: Je höher die Teilzeitquote in einem Land ausfällt, desto weiter rutscht es in dieser Statistik nach hinten. So rangieren noch knapp über dem EU-Durchschnitt von 37 Stunden unter anderem Frankreich und Italien, während die Niederlande mit der EU-weit höchsten Teilzeitquote von 39 Prozent auf nur 31,4 Stunden Wochenarbeitszeit kommen. Am anderen Ende überrascht Rumänien: Es ist das einzige EU-Land, in dem die Teilzeitquote bei Männern (3,5 Prozent) höher ist als bei Frauen.
Aber auch in Österreich hält der Trend zur Teilzeitbeschäftigung an. Bundesweit lag die entsprechende Quote im vergangenen Jahr bei 31,5 Prozent – und damit deutlich über dem EU-Schnitt von 17,9 Prozent. Österreich schafft damit den – für den Wirtschaftsstandort nicht ungefährlichen – Vizeeuropameistertitel in diesem Ranking. Bei Frauen kletterte die Teilzeitquote hierzulande 2024 sogar knapp über die 51-Prozent-Marke. Aber auch bei Männern ist der Anteil kontinuierlich von 9,2 Prozent (2010) auf einen neuen Höchstwert von zuletzt 13,7 Prozent gestiegen. Das drückt die tatsächlich geleistete Arbeitszeit pro Woche vor allem bei den unselbständig Erwerbstätigen massiv. Die Statistik weist diesbezüglich gerade einmal 29,2 Stunden aus. Berechnungen sagen sogar eine Reduktion auf 28,3 Stunden bis 2040 voraus.
Der lange Kampf um Arbeitszeiten
Fixe Bürozeiten, zeitlich limitierter Schichtbetrieb, Urlaubsanspruch, Sonntagsruhe? Das alles gab es bis Ende des 19. Jahrhunderts nicht. Stattdessen waren 16-Stunden-Arbeitstage keine Seltenheit. Der Weg bis zu heutigen Debatten um Vier-Tage-Woche und Homeoffice-Pauschalen war ein langer. Zwar tauchte die Forderung nach einer 8-8-8-Formel (je acht Stunden für Arbeit, Schlaf und Erholung) schon 1890 auf, tatsächlich auf dieses Maß für alle Branchen limitiert wurde die Arbeitszeit in Österreich aber erst 1918. Nachdem es im Zweiten Weltkrieg wieder eine Verlängerung auf zehn Stunden gab, wurde die gesetzliche Arbeitszeit in der Zweiten Republik sukzessive verkürzt und der Urlaubsanspruch verlängert. So reduzierte 1959 ein Generalkollektivvertrag die Wochenarbeitszeit von 48 auf 45 Stunden. Im Zuge einer Flexibilisierung sind heute zwar fallweise Höchstarbeitszeiten von zwölf Stunden pro Tag möglich, als Norm gelten aber 40 Stunden pro Woche.
Faktencheck
Die Teilzeit-Republik: Gründe für den Boom
Österreich gilt als Teilzeit-Republik. Woran liegt das?
In kaum einem anderen Land bestraft das System Vollzeitarbeit so sehr wie in Österreich. Wer seine Arbeitszeit um 100 Prozent erhöht, bekommt nur 67,5 Prozent netto mehr Gehalt heraus. So wenig wie kaum in einem anderen Land. Zum Vergleich: In Ungarn sind es 100 Prozent, in Schweden 86 Prozent, in Deutschland zumindest noch 75 Prozent. „Wer rechnen kann, stockt daher die Arbeitsstunden nicht auf. Mehrarbeit zahlt sich in Österreich einfach nicht aus“, rechnet man beim Thinktank Agenda Austria vor. Die Entwicklung der Arbeitszeit in Österreich ist demnach bereits seit 1995 rückläufig, mit der Corona-Krise hat es einen besonderen Schub nach unten gegeben.
Welche Folgen hat das?
Zum einen ist es in Zeiten des Arbeitskräftemangels ein großes Problem. Zum anderen stellt der Trend zur Teilzeit durch geringere Wertschöpfung auch die Finanzierung des Sozialsystems vor große Herausforderungen, warnt man bei Agenda Austria. Kürzere Arbeitszeiten bedeuten weniger Steuerabgaben und ein (noch tieferes) Loch im Budget des Bundes.
Was bedeutet das für den Standort Österreich?
Die hohe Belastung des Faktors Arbeit durch Steuern und Abgaben schadet dem Standort massiv. „Wenn Europa und Österreich konkurrenzfähig bleiben wollen, wird das nicht durch weniger Arbeit gehen. Mit weniger Arbeitsstunden werden wir weiter abrutschen“, warnen die Experten der Agenda Austria.